Krisenzeiten fordern ihren Tribut – je länger sie dauern, desto mehr. Viele Menschen in unserer jetzigen Zeit sind müde, frustriert, genervt, überarbeitet, voller Sorgen. Sie haben Angst, fühlen sich gestresst, überfordert, missverstanden, nicht genügend beachtet, minderwertig, benachteiligt, ungerecht behandelt oder krank. Sie suchen Auswege aus ihrem Dilemma, doch sie finden diese oft auf der rationalen Ebene nicht und flüchten sich dann, in der Regel unbewusst, in irgendeine Form von Abwehr. Je nach Typ kann eine solche beispielsweise von totalem Rückzug aus Gemeinschaften über Albernheit, Trotz, „über die Stränge schlagen“, Unfreundlichkeit den Mitmenschen gegenüber bis hin zum Ausblenden von Realitäten und zu ausgelebter verbaler Aggression oder gar tätlichen Angriffen reichen.
Aus psychologischer Sicht sind Abwehrmechanismen sowohl bekannt als auch für Profis oft nachvollziehbar und zu erklären. Im täglichen Umgang miteinander hingegen fällt es den meisten Menschen schwer, mit sie ärgernden, verunsichernden oder gar als bedrohlich empfundenen Verhaltensweisen anderer umzugehen – was mit ziemlicher Sicherheit auf breites Verständnis stößt. Notwendiges Hintergrundwissen und die eigene Befindlichkeit jetzt mal ganz außer Acht gelassen: Wer hätte schon Kraft, Zeit oder Lust, sich im ungünstigsten Fall mehrmals am Tag mit unliebsamen und unverständlichen psychologischen Phänomenen der Mitmenschen auseinander zu setzten? Wohl nur sehr wenige.
Somit ist unschöner und unnützer Streit programmiert, weil durch Abwehrmechanismen – in welcher Form auch immer sie auftreten – die Kommunikation mindestens beeinträchtigt, oft darüber hinaus gar dauerhaft zerstört wird. Beides belastet den ohnehin zurzeit für viele nicht gerade einfachen Alltag und Umgang miteinander zusätzlich. Um beides so gut wie möglich zu erleichtern, bietet sich ein Verhalten untereinander an, das ein Sich-Wehren – sei es bewusst oder unbewusst – so gut es geht überflüssig macht. Die Chancen dazu stehen gut, wenn Menschen sich zum Beispiel besser verstanden, beachtet und geachtet, gerecht und fair behandelt fühlen. Dazu hilft die „Vier-WERT-Formel“:
W – Wertschätzung
E – Einfühlungsvermögen (Empathie)
R – Rücksichtnahme
T – Toleranz
Wenn so viele Menschen wie möglich – am besten alle – diese vier Stichwörter zur Basis ihres Umgangs mit anderen machen, sie mit Leben füllen und praktizieren, werden Begegnungen aller Art einfacher und erfreulicher. Wer Wertschätzung erfährt, bekommt einen Ur-Wunsch erfüllt, der zu den wichtigsten sozialen Bedürfnissen von Menschen zählt. Dies können im Ansatz bereits kleinste Taten bewirken, etwa ein freundlicher Gruß oder ein ehrliches „Danke“. Wem mit Einfühlungsvermögen begegnet wird, kann sich erklären, öffnen und sich angenommen fühlen. Wer Rücksichtnahme erlebt, empfindet sich als geschätzt und geachtet. Und wenn eine Person die Toleranz spürt, dass sie zum Beispiel auch dann als Mensch akzeptiert wird, wenn ihre Meinung oder Lebensform nicht mit der ihres Gegenübers übereinstimmt, braucht sie keine Abwehrreaktion zu entwickeln.
Aktuelle Empfehlung des Gremiums „Arbeitskreis Umgangsformen International“ (AUI), Oktober 2022